Donnerstag, 8. Mai 2014

Schlechte Stimmung einfach wegschreiben - Rückblick auf eine Veranstaltung in Lehmanns Schreibcafé



Einmal im Monat findet in der Buchhandlung Lehmanns ein Schreibcafé statt, eine Kooperationsveranstaltung mit dem Studiengang Biografisches und Kreatives Schreiben. Das gestrige Thema war eine gute Vorbereitung auf unser nächstes Präsenzwochenende, bei dem wir zu "Schreiben und Gesundheit" arbeiten werden.

Jutta Michaud, Absolventin des Studiengangs, Schreibcoach, Autorin und Kunsttherapeutin, stellte vor etwa 20 Teilnehmenden das Schreiben als Methode gegen "schlechte Stimmungen" vor.
"Wieder auf die Sonnenseite des Lebens gelangen: Schlechte Stimmung einfach wegschreiben" - das war der Titel des Abends. Mit einer Kollegin zusammen hat Michaud das "gesundheitsfördernde kreative Schreiben", kurz GKS, entwickelt, das Elemente aus Glücks-, Resilienz- und Kreativitätsforschung verbinden soll und von ihnen in Gruppen, im Einzelcoaching und in der Lerntherapie eingesetzt wird. Michaud erklärte, dass der Schreibprozess ähnliche Phasen durchlaufe wie der therapeutische Prozess und sich schon deshalb gut zur (Selbst-)Therapie einsetzen lasse.

In einem kurzen Input zur Resilienzforschung nannte Michaud vor allem drei Aspekte, die dazu beitragen sollen, ein Kohärenzgefühl zu erlangen und Krisen zu überstehen:
  • die Erinnerung an die Bewältigung früherer Krisen
  • der Gedanke an Menschen, die mir beistehen
  • Optimismus
Einleuchtend auch die Bemerkung, dass die Wechselwirkung von Gefühlen, Gedanken und Physis heute wissenschaftlich belegt sei - Michaud verwies auf solche Binsenweisheiten wie "Lachen ist die beste Medizin". Die Hirnforschung habe belegt, dass Einstellungen und Denkmuster weniger genetisch angelegt seien als bisher angenommen und dass sie "umgelernt" werden könnten - Stichwort "Neuroplastizität".

Wie ist es aber zu schaffen, optimistisch zu denken, zu lachen, wenn die schlechte Stimmung, die Depression, vielleicht die große Lebenskrise da ist? Michaud verwies zunächst auf positive Affirmationen und auf die Notwendigkeit, jeden Tag etwas Gutes für sich zu tun.

Und sie stellte einige kurze Übungen vor, die gleich ausprobiert wurden und deren Ergebnisse die Teilnehmenden erstaunlich bereitwillig vorlasen. Das Vorlesen und Teilen in der Gruppe soll Michaud zufolge ein zentraler Bestandteil des Ansatzes sein: Es helfe, vorgeblich Unbedeutendes wahrzunehmen und zu erinnern, sich wiederzuerkennen, Achtsamkeit zu üben. Und all das führe allmählich zu einer positiven Veränderung.

Übung 1:
Schreiben Sie eine Liste von 5 Dingen, die Ihnen gute Laune machen.
Wenn Ihnen beim Schreiben etwas aufgefallen ist, schreiben Sie auch das auf.


Übung 2:
Schreiben Sie zehn Sätze mit immer demselben Satzanfang (serielles Schreiben). Schreiben Sie diesen Satzanfang dabei immer aus. (Serielles Schreiben)
Beginnen Sie mit "Als Kind habe ich mich immer besonders gefreut, wenn..."

Übung 3:
Schreiben Sie schnell herunter, was Ihnen einfällt, zur Frage: "Was bedeutet Glück für mich?" (automatisches Schreiben)

Übung 4:
Stellen Sie sich eine Situation vor, in der Sie grundlos schlechte Laune haben, einen miesen Tag. Rufen Sie das Glück an und schreiben Sie einen Dialog zwischen sich und dem Glück. Nehmen Sie beide Perspektiven ein!

Übung 5:
Liebe geht durch den Magen - vielleicht auch das Glück? Schreiben Sie ein Rezept für eine Glückssuppe. Beginnen Sie mit den Worten "Man nehme..."

Übung 6:
Erinnern Sie sich an einen wunderschönen Moment und beschreiben Sie ihn mit allen Sinnen - was hat das mit Ihnen gemacht?
(diese Übung wurde nicht ausprobiert, sondern als Tipp für zu Hause mitgegeben)

Übung 7:
Dankbarkeit als kleine Schwester des Glücks - statt Defizitorientierung Erinnerung fördern an Menschen, die mir nahe standen oder stehen, die mir geholfen haben: Schreiben Sie einen Dankesbrief an einen Menschen, der etwas (Kleines oder Großes) für Sie getan hat.

Übung 8:
Empfehlung, Morgenseiten / Schreibjournal zu führen  > leicht variiert zu "Resilienzjournal" als Tagesroutine
Ziel: Gefühle, Gedanken, Reaktionen bewusst wahrnehmen, um sie steuern und verändern zu können
Konzentration auf Veränderbares hilft, um aus Gedankenkreis um Dinge, die ich nicht ändern kann, auszubrechen
Szenarien entwickeln: Wie könnte es sonst noch sein? > Beweglichkeit entwickeln
Ehrlichkeit mit sich selbst: Was ist mir wirklich wichtig? Was brauche ich heute?
Farben nutzen

Übung 9:
Empfehlung: Collagen kleben aus Zeitschriften und über die Wirkung schreiben
kann helfen, meine Stimmung zu erkennen, eigene Zielstellung klären und ihr in kleinen Schritten näherkommen
Wie bei Übung 8: allmählich herausfinden. wer bin ich eigentlich? > Beschäftigung mit sich selbst ist heilsam

Übung 10:
Empfehlung: einen Monat lang jeden Tag einen Satz schreiben, der mit "ich bin..." beginnt (positive Dinge!)
Ziel: Wegkommen vom Perfektionismus, inneren Zensor überlisten

Übung 11:
Empfehlung: Dialog mit innerem Zensor schreiben

Übung 12:
Empfehlung: Schreiben Sie eine Liste. Statt "Was ich noch erledigen muss" notieren Sie "Was ich schon geschafft habe"

Auch wenn die Übungen Geschmackssache sind und sicher nicht jede Übung allen gefällt (was im Übrigen wahrscheinlich für jede Übung, jeden Ansatz gilt :-) ): Dass das Fokussieren auf positive Erfahrungen, Erinnerungen, Emotionen helfen kann, um aus negativen Stimmungen auszubrechen, hat der Abend ganz überzeugend gezeigt. Es schadet sicher niemandem, sich mehr mit den eigenen Emotionen und Zielen zu beschäftigen und sich "näher zu sich selbst" zu schreiben.

Toll fand ich zum einen zu sehen, mit welchen unterschiedlichen Zielen sich kreatives Schreiben anwenden lässt, und zum anderen, wie viele Menschen gern schreiben und vorlesen.

Ich würde es noch spannend finden, darüber hinaus zu gehen: 

Kann ich mit dem Schreiben noch mehr bewirken als die Selbstpflege, das Fitmachen für den Alltag?
Wie kann ich mich und andere mittels Schreiben stärken? Ist noch mehr möglich als positiver denken zu lernen? (zum Beispiel....: Kraft finden, um Veränderungen auch im Außen anzugehen, herausfinden, was mich eigentlich krank macht, herausfinden, woher all diese Ansprüche an das große Glück eigentlich kommen)
Kann nicht das ewige positive Denken, das Wiederholen von Affirmationen auch dazu führen, dass ich nicht mehr wahrnehme, was mir schadet bzw. dass ich in die Anpassung rutsche? Bin ich selber schuld, wenn ich nicht dafür sorge, dass es mir gut geht? Muss ich funktionieren? Und was ist eigentlich mit dem Genuss an der schlechten Stimmung? http://www.clipfish.de/musikvideos/video/3662415/goeksel-depresyondayim/ (Übersetzung)
(Zur Kritik am Positiven Denken: 
Ich kann mir gut vorstellen, dass die vorgestellten Übungen sich auch so anwenden lassen. Und ich bin gespannt, was das nächste Präsenzwochenende bringt.





1 Kommentar:

  1. Liebe Claire, danke für dieses Bericht! Und schade, dass das letzte Präsenzwochende über Schreiben & Gesundheit uns meines Erachtens (also mir) nichts wirklich Praktisches über das Thema beigebracht hat ... Um so mehr freue ich mich, deinen Blogeintrag zu lesen.:-)

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