Sonntag, 8. Dezember 2013

Beim Hören von Wagners "Liebestod-Arie"

Liebestod, was soll das sein?
Sterben, weil die Liebe zu groß ist
Sterben, weil die Liebe zu klein ist
Sterben, weil da Liebe ist
Sterben, weil da nur eine ist
Sterben, weil du meins bist
Sterben, weil ich deins bin
Sterben, weil Liebe Besitz ist

Liebestod, was soll das sein?
Sterben, weil da Liebe ist
oder sterben, weil da keine ist
marschieren, zelebrieren, konzentrieren
arisieren

Widerstand

und noch was
Ordnung und Chaos
Dionysisches und Apollinisches
das gab's doch schon mal
in diesem Jahrhundert
Asphaltliteraten
und Provinzliteraten
undeutscher Geist
und deutscher

dem Bürger flog vom spitzen Kopf der Hut
Chaostage
schnell vorbei
und dann kehrte Ordnung ein
marschieren, zelebrieren, konzentrieren
und arifizieren

vielleicht nennt man das
Liebestod
wenn die Liebe stirbt
im Opernsaal sind die Sessel weich
und manche Birnen weichgespült
von Geigen und goldenen Kehlchen
von goldenem Haar
und goldigen Schäferhunden

in Bayreuth sind die Hundekotbeutel aus Pergamentpapier
und das Schreibpapier aschegrau
für die Liebesbriefe und die Abschiedsbriefe
und die verdammten Partituren
das ist der Liebestod

....

Je länger ich über diese Übung nachdenke, umso wütender macht sie mich.

Für mich war bisher das Spannendste am gesamten Studium die Diskussionen, die sich manchmal an Einwänden, kritischen Bemerkungen, Nichtübereinstimmung entsponnen haben. Gleichzeitig waren diese Diskussionen auch ernüchternd. Manche Debatten will ich nämlich einfach nicht mehr führen.

Und mich ärgert auch, wie manche Einwände von den Dozent_innen einfach weggewischt werden.

Online-Feedback kann schwierig sein, wenn hochsensible und sehr persönliche Texte debattiert werden? Ist vielleicht auch nicht notwendig zu üben, da ich es im Arbeitsleben nie verwenden werde?
- ach, ihr werdet euch dran gewöhnen, die Vorgängerkurse haben sich auch dran gewöhnt.

Manche Übungen wie etwa Traumreisen können retraumatisierend wirken, alte Verletzungen triggern?
- ach, Triggerwarnungen machen doch nur befangen, und außerdem arbeiten wir ja mit Studierenden, also gefestigten Persönlichkeiten. [Studierende versus "vergewaltigte Frauen", gesunde "Deutsche" versus per defininionem traumatisierte Menschen mit Fluchterfahrung? - meint ihr das wirklich ernst?]

Wagner wird nicht ohne Grund mit der NS-Zeit assoziiert, eignet sich als nicht als Anregung zum Schreiben über Liebe und Tod (oder führt jedenfalls zu unerwünschten Assoziationen zum Thema Tod)?
- ich verstehe deine persönliche Abneigung, dann hör eben was anderes.

Schreiben zu Wagner-Arien
da mach ich nicht mit, sagt einer
Bauchschmerzen
Herzschmerzen
Hirnschmerzen
Steht euch frei, hört, was ihr wollt

Ich finde es völlig in Ordnung, Wagner zu hören
sagt der andere.
Na dann ist ja alles gut.
Wir haben kein Problem.
Wenn du eins hast,
auch gut.

Bauchschmerzen
Herzschmerzen
Hirnschmerzen
Noch nie hat sich hier jemand beschwert
über Wagner
Das ist interessant
Könnt ihr selbst überlegen
wie ihr das macht
Ein bisschen Wagner,
ein bisschen Störkraft
Na und wenn ihr ins Schreiben kommt
ist es doch gut
Mehr will ich ja nicht

Und wer will schon Sprachverbote
Denkverbote
Hörverbote
[jagen, was mir vor die Flinte kommt, darf ich aber noch sagen, ja? oder schlägt da die pc-Polizei zu?]
Aber weghören war noch nie eine gute Strategie
Also anschreiben gegen
Bauchschmerzen
Herzschmerzen
Hirnschmerzen

Hier fällt mir auch ein, was ich in der Übung "Erwartungen, Ziele..." nicht formuliert habe, weil ich es eigentlich für selbstverständlich gehalten habe:
Ich wünsche mir,
- dass meine Klischees, Vorurteile, Verallgemeinerungen hinterfragt werden, dass ich lerne, genauer hinzugucken
- dass ich darauf aufmerksam gemacht werde, wenn ich Generalisierendes schreibe
- dass ich auf den Umgang mit emotionalen Situationen vorbereitet werde, lerne, zum Beispiel schmerzhafte Erinnerungen der TN aufzufangen
- dass ich Strategien zum Umgang mit verletzenden Äußerungen/Texten lerne
- dass gesellschaftliche Machtverhältnisse, Positionierungen, historische Zusammenhänge mitgedacht und mir bewusst gemacht werden.
- dass meine Haltung bewusster wird und klarer und feiner und klüger statt immer scheißegaler.
- dass ich nicht diskutieren muss, ob ich Leute beleidigen darf.


3 Kommentare:

  1. Liebe Claire, ich verstehe Dich gut, verstehe Deine Wut, Ärger, Enttäuschung. Ich habe nach dem Seminar lange über ABWEHR nachgedacht, wie wehre ich etwas ab, Gefühle, die sich melden, innere Konflikte, sog negative Gefühle, die hochkommen, was ist negativ??? Und ohne dass ich den Inhalt dadurch wegschieben will, es ist einfach sehr gut formuliert von Dir (Hundekotbeutel aus Pergamentpapier und das Schreibpapier aschegrau). Du wirfst wichtige Fragen auf, wie gehen wir mit unseren Wunden um und wie sehen wir genau diese Wunden auf dem Hintergrund und in Verbindung mit dieser Gesellschaft. Und ob Leonard Bernstein auf die Knie sinkt vor Wagner, geht mir echt am Arsch vorbei. Erstaunlicherweise habe ich in unsere Gruppe Vertrauen. Erstaunlich deshalb, weil wir sehr sehr unterschiedlich sind. Wahrscheinlich weil ich an "das Gute" im Menschen glaube, d.h. an unsere Fähigkeit, uns liebevoll einander anzunähern, und Ängste (und andere Gefühle) aushalten zu lernen, bzw sie erst einmal wahrzunehmen. Herzliche Grüße Karl

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  2. Liebe Claire, lieber Karl, während ich eure Texte lese, merke ich noch einmal deutlich, wie wichtig mir eine Intervention bzw. das An-der-Wagner-Aktion-Nicht-Mitmachen war. Denn nach dem Tag/nach dem Präsenzwochenende hatte ich keine Wut, u.a. weil ich in dem Moment "Nein" gesagt habe. :-) Mir ist auch wichtig, dass ICH mir das Recht eingeräumt habe, eine andere Musik als Wagner zu hören (das wurde NICHT vom Dozent angeboten). Ich habe mich selbstermächtigt. Ich habe mir Handlungsmöglichkeiten geschaffen. Selbstermächtigtung ist wichtig. Auch wenn Noah Sow richtig bemerkt: "Selbstermächtigtung heisst übrigens, dass mir zuvor schon etwas weggenommen wurde. Liebe Grüße, Jayrôme

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  3. Lieber Jayrome, das habe ich verstanden und finde ich sehr wichtig. Ich wollte auch nicht für dich schreiben - sondern meine eigene Perspektive aufzeigen. Und für mich war es in dem Moment wichtig, dass gegen Wagner nicht nur eine individuelle Abneidung spricht.
    Liebe Grüße und danke euch beiden für eure Kommentare
    Claire

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