Donnerstag, 10. Juli 2014

Kunst und Gesundheit

Schreiben und Gesundheit, eine logische Verbindung in meinen Augen. Sich Zeit nur für sich selbst  nehmen, aus dem Alltag aussteigen, das kann nicht schaden.
Schreiben im Museum, das klingt nach Jodelkurs, nach Töpfern in der Toskana, nach Beschäftigungstherapie für Unter- oder Überbeschäftigte. Hat aber auch seine Berechtigung und macht bestimmt Spaß.
Die Verbindung von beidem, das Schreiben im Medizinhistorischen Museum an der Charité, lasse ich ausfallen, ich weiß, was mich in dort erwartet und dass mir das jetzt gerade nicht gut tut.
Ai Wei Wei, schlägt einer als Alternative vor, und schreiben zu Ai Wei Wei, das kann ich mir vorstellen: Kunstwerke auf mich wirken lassen, darüber nachdenken, sie zum Schreibanlass nehmen. Heute schreibe ich also nicht über eine Ausstellung, keine Kritik ist gefragt, kein Expertinnenurteil zu irgendeinem Thema, und von Kunst, denke ich mir, verstehe ich sowieso wenig, und von der Lage chinesischer Dissident_innen noch viel weniger. Ablenkungsgefahr scheint also nicht gegeben, allein die Kunst und ihre Wirkung auf mich soll Thema sein. Hurra!
Und dann geraten mir die Rollen durcheinander, frag ich mich schon beim ersten Schild an einem Ausstellungsstück: Was meinen die nur?
Da steht: wurde bestraft für sein politisches Engagement. Da steht nicht: worin dieses bestand. Ein Olympiastadion fand er zu groß, gegen die Vertuschung der tödlichen Folgen eines Erdbebens hat er sich eingesetzt und eine alternative Shanghai-Biennale durchgeführt, finde ich noch heraus. Und schon rattert es in meinem Kopf.
Ein international erfolgreicher Künstler, sehe ich, seine Biografie umfasst Stationen in mehreren Ländern. Hat er das alles allein gemacht? Wen hat er ausgestellt auf dieser Biennale? Und woher kommt sein Erfolg?
Ich sehe viele Stühle, Hocker aus Holz, 6.000, steht auf dem Schild, aus Dörfern in ganz China zusammengetragen. Standardinventar chinesischer Haushalte, steht da, voll von Gebrauchsspuren, steht da, seit Jahrhunderten von der gleichen Formsprache geprägt, steht da. Mir gefällt der Anblick, die Masse, die Struktur, die die eng gedrängten Sitzflächen bilden. Und ich frage mich: Hat er die allein gesammelt, ist monatelang über Dörfer gefahren? Was hat er gesprochen mit den Menschen, deren Stühle es sind? Haben sie sie gern hergegeben, wollten sie zu einem Kunstwerk beitragen? Mein Kunstwerk würde genau daraus bestehen, aus den Geschichten dieser Menschen und ihrer Stühle. Ein Hörspiel vielleicht, eine Klanginstallation. Ich denke an ein Buch, "Chinageschichten" von Susanne Messmer, das ich vor Jahren gelesen habe, Gespräche mit alten Menschen in China, ein wunderbares Buch, ich denke an einen Cartoon zum Weltkindertag vor Jahren. Die Köpfe der Kinder wurden da in den Boden gehämmert zum Straßenausbau, eine Oberflächenstruktur wie die dieser Stühle. Und ich frage mich: Hat er den Leuten was bezahlt für ihre Hocker aus dem 17. Jahrhundert, wissen die, was dieses Gesamtkunstwerk wert ist?
Und ich denke an Brecht, Fragen eines lesenden Arbeiters, und denke, wie kitschig, das hat die Linke in ihrem Grundsatzprogramm, und denke, ach Brecht, der hat seine Mitautorinnen selbst nicht genannt, Kollektivstruktur hieß das dann, und albern komme ich mir vor, wer zitiert schon heute noch Brecht, außer türkischen Intellektuellen, die Baskenmütze tragen und Bella Ciao singen, bei ihrer Rückkehr vom Flüchtlingsmarsch, alle Strophen auswendig in der türkischen Version, die Faust gereckt und den Kopf erhoben.
Aber um Gesundheit und Krankheit soll es gehen, und beim nächsten Werk denke ich: Sarg, eindeutig Sarg, dabei heißt es Container. Dann sind da die Vasen, antike Vasen voll Autolack, leuchtend und scheinend in bunten Farben, erinnern an Kindheit, meine Freude an kreischendem Plastik. Und das Schild erklärt: Konsumkritik, Kapitalismuskritik. Und ich denke, ach. Ich soll jetzt erschrecken, soll erkennen, dass Geld alles kaufen kann, dass Alter nichts mehr zählt heute und Authentizität. Und Ai, denke ich, Ai hat die Vasen gekauft, weil er kann, und verschönert, weil er kann. Und jemand anders hat mal wann anders gesagt: alt ist schön, und dann hat wann anders jemand anders gesagt: neu ist schön. Und neben mir sagt eine Person zu einer anderen Person: Wenn du zu viele Vasen von der Sorte hast, dann machste das halt.
Und dann der Tierkreis, Statuen des 12 Tierkreiszeichen und wieder ein Schild, ein großes. Die Opiumkriege, die Annexion Hongkongs, der Kolonialismus, die Zerstörung chinesischer Schätze, alles in drei Sätzen, und dann ein Designer, ein europäischer. Die originalen Statuen kauft er für ein paar Millionen und zurück an China gehen sie nur, wenn China die Menschenrechte einhält, sagt das Schild. Und dann ist Platz für Ai auf dem Schild, und Ai sagt, dass es keine chinesischen Schätze gibt, nur globale. Und das Schild sagt, dass das ein Beitrag ist zur patriotischen Debatte um historische Schätze. Und das Schild, sagt, es gebe da einen "langweiligen" Film zu diesen Statuen von Jackie Chan, und der kenne Ai gut, aber verleugne ihn heute. Und ich frage mich: Wer schreibt diese Texte und: warum?
Und dann ein Wort, das ich mag, ein schönes Wort für eine furchtbare Sache: Tofukrümelgebäude, Häuser, die bei einem Erdbeben zerbrachen und 5.000 Kinder unter sich begruben. Ai Wei Wei, sagen die Schilder, regte eine Untersuchung an, weil es keinerlei Informationen gab, und die Bürger_innen sammelten die Namen der toten Kinder. Dafür wurde er inhaftiert, 81 Tage in Einzelhaft, eine grausame Strafe.
In einer Ecke, sehr klein, ein Video mit den Namen der 5.000 Kinder. In drei Räumen, sehr groß, Ai Wei Weis Arbeiten zu dem Erdbeben, Nachbauten der verbogenen Streben, die die Häuser zusammenhielten, Videoaufnahmen, Schuldscheine als Tapete. Denn der Staat (das "gilt allgemein" als Vergeltungsmaßnahme, sagt das Schild, das sind "gebräuchliche Taktiken", sagt das Schild) forderte eine Steuernachzahlung in Millionenhöhe, und "Netzbürger" spendeten zusammen eine Million. Und ich frage mich, wer sind diese Netzbürger_innen, warum zahlen die so viel Geld für diesen Mann, und diese Tapete, mögen die das, dass ihre Namen da draufstehen, welche Folgen hat das für sie, und wieso wird der dafür berühmt? Kindisch finde ich mich, und ich denke an diesen Künstler aus Malta, we are not in the times of Caravaggio, hat er gesagt.
Da steht ein Nachbau der Zelle, 7,2x3,6 Quadratmeter, an unbekanntem Ort stand sie, und wie konnte er sie messen, und welche Ironie, dass vor der Zelle ein Wärter steht. Nur fünf Personen auf einmal, und unwirsch winkt er uns rein.
Videos, Ai Wei Weis Assistentin spricht mit Behördensprechern, sein Atelier wird zerstört, er singt über sein Engagement in einem Musikvideo, die Fantasien des Künstlers zeigt es, sagt das Schild auf Deutsch, die Fantasien des Soldaten, und das Chinesisch kann ich nicht lesen, und auch nicht verstehen, was Ai Wei Wei singt, es gibt keine Übersetzung. Und die Fantasien von  wem auch immer, das ist der Künstler beim Suppe Essen, Duschen, Schlafen bei grellem Licht in der Zelle, beim Tanzen mit Frauen in Strapsen. Und schade, sein Gesicht kenn ich jetzt gut, alle Haare auf seiner Brust, aber was er so tut und denkt, weiß ich nicht. Nur, dass er sich engagiert für irgendwas, und das steht schon am Eingang, auf dem ersten Schild.
Dann sind da Videos, Straßen in Beijing, die Kleiderbügel aus dem Knast in Edelstahl- und Kristallvarianten, und sei nicht so kleinlich, denke ich, und gönne ihm die Schönheit, viel schöner als Plastik. Aber das war teuer, denke ich und denke an meine malende Freunden, vor monochromen Rothkos sgt sie immer: Der kann sich das leisten. Sie malt Öl auf Zeichenblock, Din A1. Handschellen, Cremedosen aus Jade. Und weiter, ich suche nach Krankheit, Gesundheit und finde den Sarg aus Marmor, mit Atemschutzmaske aus Marmor. Smog in Beijing, sagt das Schild, und Atomkrieg, denke ich. Tische und Bänke in Sargform, Ai Wei Wei macht sich lustig über die Bedeutung von Leben und Tod und unsere Beziehung zu täglichen Ritualen", sagt das Schild. Und da muss ich lachen, und noch mehr lachen bei der "Study of Perspectives" und ihrer Erklärung, 40 Fotos mit der Fuck you-Geste des Künstlers vor bekannten Orten in aller Welt:
Das Werk zeige einen
"einfache[n] Gestus, der viel über die Perspektive des Künstlers und seine Haltung zur Autorität sagt. Wiederholt sehen wir das Motiv des ausgestreckten linken Arms mit dem nach oben weisenden Mittelfinger vor Hintergünden überall auf der Welt, häufig vor symbolhaften Denkmälern. Diese Fotos rufen den Betrachter dazu auf, seinen als selbstverständlich empfundenen Respekt vor Autorität in Frage zu stellen - seien es nun Regierungen, Institutionen oder sogar die Natur oder die Kultur."
Da lache ich und fühle mich der Pubertät sehr entwachsen und auch dem "als selbstverständlich emfundenden Respekt vor der Autorität". Und dann denke ich, für seine Kurator_innen kann er nichts.

Martin-Gropius-Bau

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