Freitag, 6. März 2015

Erste Sätze, letzte Sätze

Was passiert eigentlich, wenn die Anfangs- und Schlusssätze aus wahllos zusammengesuchten Romanen zu einem neuen Text zusammengestellt werden? In einer schlaflosen Nacht hab ich das ausprobiert. Und ohne einen einzigen eigenen Satz steht dann da so was:



Bisher passierte folgendes: Am Anfang wurde das Universum erschaffen. Die Sonne schien, da sie keine andere Wahl hatte, auf das Nichts des Neuen.
Am Anfang war eine Landschaft.
Da war eine Mauer.
Eine kleine Station an der Strecke, welche nach Russland führt.
Der Irrsinn einer herbstlichen Prärie-Kaltfront, näherkommend.
Ein grauer gedrungener Bau, nur vierunddreißig Stockwerke hoch.
Die Kleidung der Sträflinge ist rosa und weiß gestreift.
Sie waren Blendwerk, unecht, ganz wie die Wunden, die Gliedstümpfe und die Blindheit. Es war eine Lust, Feuer zu legen.

Ich weiß noch, dass ich mich gestern für den glücklichsten Menschen auf der ganzen Welt
, im ganzen Universum, in der ganzen Schöpfung Gottes hielt. Der menschliche Körper soll zu achtzig Prozent aus Wasser bestehen, es ist daher auch kaum verwunderlich, dass sich jeden Morgen ein anderes Gesicht im Spiegel zeigt. Das war gestern Abend so um zwölf, da fühlte ich, dass etwas Großartiges in mir vorging. Als es wieder und wieder läutete, stand ich auf und ging zur Tür. Erst habe ich die Soldaten gesehen, ich stand da im Bauch meiner Mutter zwischen den Eisenstangen, ich wollte mich festhalten und fasste an das Eis und rutschte und landete auf demselben Platz, klopfte an die Wand, keiner hörte. Dass heute schon junge Frauen Selbstgespräche führen!

Gut dass wir hier im hause wohnen und nicht auf die dunkle straße zu gehen brauchen. Das Volk aber brachte ein Hoch auf mich aus. (Sozialismus heißt arbeiten)

Im Winter 1987 dachte ich daran, zu sterben. Eines Tages, ich war schon alt, kam in der Halle eines öffentlichen Gebäudes ein Mann auf mich zu. Eine Unterhose brauchen wir nicht, sagte er, wir nehmen Papier, das ist Vorschrift. Es war Nachmittag. Es war ein sehr begebenwürdiger Tag, an dem ich geschlachtet werden sollte. Ich wollte nicht, dass dieser Tag begann.

Ich bin ein transparenter Sarg. Ich bin allein. Es ist Nacht. Mir geht es gut. Und wenn du eines Tages sterben musst, stirbt nicht ein alter, ausgepumpter Maulesel, nein, ein Mensch stirbt, ein Mensch, der frei und zufrieden gelebt hat, mit anderen freien Menschen! Und wenn ich es nicht selbst vergesse.

Beim Schreiben dieses Buches, dessen Inhalt hierzulande überfällig ist, bin ich Wort um Wort und Begriff um Begriff an der vorhandenen Sprache angeeckt. Komme was wolle, hatte die Verlagsfrau gesagt, Sie brauchen einen Plot.  

- Das ist wieder eine andere Geschichte. Hat man erst einmal den Geist aufgegeben, folgt alles andere mit tödlicher Sicherheit, sogar mitten im Chaos.

Heute wäre die Geschichte einfach zu erzählen, ungefähr so:

Mrs Bantry träumte. Sie schloss ihre Augen.
Sie sagte: eine Tablette gegen Kopfschmerzen, ich glaube, sie heißt Aspirin. Er zögerte kurz und sagte dann wahrheitsgetreu: Ja. Das passierte ihm jetzt praktisch jeden Morgen. Er sagte ihr, dass es wie früher sei, dass er sie immer noch liebe, dass er nie aufhören werde sie zu lieben, dass er sie lieben werde bis zu seinem Tod. Und er prüfte den leise parfümierten Geruch, der aus der Taille seiner Mutter aufstieg. Dann hielten sie inne und drehten sich, ein paar Augenblicke später, ebenso bedächtig nach links. Südwest, Süd, Südost. Ost... Sie war fünfundsiebzig Jahre alt, und sie würde einiges in ihrem Leben ändern. Wirklich, ein Glück, dass ich dich getroffen habe... ich hätte nicht gewusst, wie ich all den Kram nach Hause tragen sollte. Und Raymond kehrte in den Tanzsaal zurück. Seine Hände waren so leer, wie sie immer gewesen waren.

Die Sonne ist schon fast untergegangen, aber es ist noch hell. Wir müssen aufbrechen. Erzählt eure Geschichte im Gehen. Wir spazieren über einen stabilen Strand, es ist ein dunstiger Nachmittag, und bald wird es Abend. Morgen, morgen. Wenn wir zur Stadt kommen. Wenn wir schweigen, werden wir unangenehm, sagte Edgar, wenn wir reden, werden wir lächerlich.

Kontext ist das A und O. Da habe ich so meine Prinzipien. Auf den Glanz kommt es nämlich vielleicht gar nicht so furchtbar an.

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