Freitag, 6. März 2015

Lesebühnentexte





Lesebühnentexte sind ja so eine Sache. Meistens haben sie einen bestimmten Tonfall, bestimmte Inhalte, bestimmt Figuren. Kann ich das, will ich das? Darum geht es in dem ersten Text, den ich zwischen den Texten von Alissa Wyrdguth und Gary Flanell gelesen habe:




Ich hab mir vorgenommen, zum Vorlesen auch mal so einen Lesebühnentext zu schreiben, die meistens anfangen mit „Gestern auf dem Weg zum Späti ist mir das Leergut runtergefallen“ oder „wenn man im Winter die Wäsche aufhängt, frieren einem ja meistens die Hände ein“. Manchmal geht der Einstieg auch so:
„Als ich noch mit Kohlen geheizt habe, habe ich mir manchmal beim Schleppen den Rücken verzerrt. Auf dem Weg zum Späti sah ich dann aus wie Quasimodo / als hätte ich mich angekackt / wie mein alter Mathelehrer.“ Die Wahl der Vergleiche ist je nach Lesebühne unterschiedlich.

„Mit der Zentralheizung passiert das nicht mehr, und jetzt muss ich mir immer selbst was ausdenken, wenn ich eine Krankschreibung will. Obwohl, so auf Hartz IV brauch ich eigentlich gar keine.“ Dann lachen immer alle, meistens an der richtigen Stelle, und die Autorin sitzt da mit ihrem Bier und lächelt ihr erfolgsverwöhntes Lächeln.
Bei mir lacht nie jemand, und deshalb weiß ich nicht, wie ein erfolgsverwöhntes Lächeln geht.

Erfolgsversprechend scheinen Texte, die irgendwie selbstironisch sind, Texte über Kotze und Texte, die verdeutlichen, dass die Autorin eine echte Berlinerin ist, eine, die im Vergleich zu den anderen, die so ähnliche Texte schreiben, schon viel länger hier wohnt. Also so einen Text wollte ich auch schreiben.

Das mit dem Berlinbezug fand ich dann aber gar nicht mehr so spannend. Zum Glück hat sich das mit der Semmel-Schrippen-Wecken-Brötchen-Kontroverse im Zug der Eurokrise irgendwann erledigt. In English As a Second Language heißen die alle einfach bread. Statt an Brötchennamen lassen jetzt alle ihren Hass an Leute aus Spanien aus, weil sie auf einmal alle früher so gern Türkisch gehört haben. Was Brötchen auf Türkisch heißt, weiß aber trotzdem kaum ein Mensch. Außer den Türkinnen.

Ich hab es dann mit der Kotze versucht, weil das Berlinthema zu versöhnlich war. Kotze schien sich gut zu eignen zur Umsetzung der Ratschläge, die jedem Schreibratgeber zu entnehmen sind: Sprich alle Sinne an. Sinnliche Beschreibungen fesseln. Lass deine Leserinnen riechen, schmecken, fühlen, was in deinem Text passiert.

Als ich gestern aus der Kneipe kam, hatte ich so viel getrunken, dass ich so richtig reihern musste. Ich spürte, wie mein Magen sich zusammenzog und wieder ausdehnte, ein säuerlicher Geschmack kroch langsam meine Speiseröhre hinauf. Ich schmeckte die Reste von dem Wodka, den ich ausgiebig zu mir genommen hatte, den polnischen mit diesem Stängel drin. Wenn ich nachschmeckte, konnte ich tatsächlich einen feinen Hauch Basilikum oder Dings wahrnehmen. Am Rande dieser Geschmacksnote waren die ersten Vorzeichen des Falafel- Sandwiches zu erahnen, das ich am Nachmittag zu mir genommen hatte.

Ich wusste aus Erfahrung, wie sich die halb verdauten Kichererbsenbröckchen anfühlen würden, wenn sie sich hydraulisch bewegt die Speiseröhre hinauf Richtung Mundhöhle bewegen würden. Sie würden sich an der Oberfläche der Röhre reiben, mir den Geschmack des gar nicht so schlechten Sandwiches samt Tahin wiederbringen und dann explosionsartig über den Mund in die Außenwelt katapultiert werden.

Gib mehr Geruch rein, flüstert der Autor des Standardratgebers für Lesebühnentexte in meinem Hinterkopf. Wie riecht die Kotze genau? Lass deine Leserin die Dünste riechen, die sich säuerlich in die Nasenschleimhaut schleichen. Sei präzise und differenziert: Riecht es nach Essig, nach Verdauung und Magensaft, oder eher noch einigermaßen appetitlich nach Knoblauch und gebratenen Erbsen? Lass uns teilhaben an deiner Erfahrung.

Und die Konsistenz, da kannst du ruhig noch etwas genauer sein. Was für Bröckchen? Große? Kleine? Und die Farben, doch, Farben brauchst du. Da kannst du wirklich in die Vollen gehen, wir sind ja sowieso Augentiere. (Meistens sind diese Ratgeber etwas esoterisch. Innerlichkeit, die Verbindung zur Seele, der eigenen oder der Weltseele, meditatives Schreiben, Schreiben zu Düften.)

Das mit der Kotze funktioniert für mich auch nicht so richtig, denke ich spätestens an diesem Punkt. Duft als Erinnerungsträger. Lass den Leser den Kuchen riechen, den das Liebespaar in deinem Café verspeist. Lass ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen, lass ihn den Kuchen schmecken, den seine Oma gebacken hat.
Ich finde das langweilig. Wie Kotze riecht und schmeckt, ist den meisten Leuten bekannt, und die Unterschiede zwischen verschiedenen Kotzesorten sind nicht relevant genug, um ihrer Beschreibung einen Text zu widmen. Außerdem sind es Erinnerungen an kotzegetränkte Situationen eher selten wert, aus der Versenkung geholt zu werden. Auch nicht, wenn du auf die auditive Ebene gehst, fällt mir in Richtung des Ratgeberautors ein. Das Plätschern, Röhren und Würgen macht es kaum besser.

Vielleicht muss ich da anders rangehen, weniger über den Sprachduktus, weniger über beliebte Motive. Stattdessen gehe ich über Ereignisse, über die Handlung. Handlung ist nie falsch.

Die meisten Lesebühnenmenschen entscheiden sich für Zufallsbegegnungen, Gespräche über irgendwas, ein bisschen Hin und Her zwischen ein, zwei schrägen Typen.

Dass mein Mitbewohner die Wünschelrute unserer Zwischenmieterin weggeworfen hat, verstört mich noch immer. Wer weiß, wer die in die Hände bekommt. Wer weiß, ob alle damit so verantwortungsvoll umgehen können wie er. Ich hätte ihren Weg nachverfolgen sollen, hätte beobachten müssen, wem sie den Weg zur Klospülung gebahnt hat. Einen ganzen Roman hätte ich daraus entwickeln können, in dem zum Beispiel ein BSR-Mitarbeiter seine spirituelle Ader entdeckt, seine orange Arbeitskleidung endlich schätzen lernt und in der Mittagspause die Kollegen über die heilende Wirkung von Halbedelsteinen und silberjodiertem Wasser aufklärt.

Ein solcher Roman könnte beginnen mit dem Satz: „Als Hermann um 4 Uhr morgens seinen orangen Zwölftonner bestieg, hatte er noch nicht die geringste Ahnung davon, dass der heutige Tag sein ganzes Leben verändern würde. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er nie von Wünschelruten gehört, und wenn man ihm davon erzählt hätte, er hätte es nicht geglaubt.“

Von Konjunktiven wird in Schreibratgebern aber abgeraten, das ist nicht die einzige Parallele zu Bewerbungsratgebern, und so beschreibe ich im Indikativ im nächsten Absatz die Geräusche der morgendlich stillen Straße, das erste erwartungsvolle Gezwitscher der Vögel, natürlich werde ich auf irgendeinem Großstadtornithologenfachblog recherchieren, welche das im Frühjahr um vier Uhr morgens sind, genau wie ich recherchieren werde, wie viel Tonnen so ein Müllwagen wirklich wiegt. Authentizität wird in Schreibratgebern groß geschrieben.

Ich erwähne auch den Duft der Schrippen-Brötchen, die ich vielleicht einfach bread nenne. Dieses Hinauszögern der Handlung steigert die Spannung und die Leserinnen warten ungeduldig darauf, dass endlich, endlich irgendwas passiert.

Aber so ein Roman wäre zu lang für einen Lesebühnenabend.

Texte von Alissa Wyrdguth und Gary Flanell gibt es hier: Renfield Fanzine
Die coole Band, die wir mit unseren Texten unterbrechen durften, spielt auch hier: https://soundcloud.com/drunk-at-your-wedding

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